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Das Marktplatzmodell

Revolution oder Gefahr für die B2B-Automobilbranche?

Andreas Gottschalk

Von Andreas Gottschalk

Das Marktplatzmodell ist nicht neu – zunächst wurde es vorrangig im B2C-Bereich genutzt, in vielen Industrien zählen digitale Händlerportale aber mittlerweile ebenso zu den täglichen B2B-Tools für Beschaffung und Vertrieb. Digitale Plattformen ermöglichen es Unternehmen, direkt mit Lieferant:innen, Herstellern und Dienstleister:innen in Kontakt zu treten, um Produkte und Dienstleistungen für die Produktion zu beschaffen. Funktioniert dieser Ansatz auch für so eine komplexe Branche wie die Automotive-Industrie?

Die B2B-Automobilindustrie wird zwar maßgeblich von den großen Autoherstellern und ihren Zulieferern dominiert – dennoch gibt es weitere wichtige Akteure auf dem Beschaffungsmarkt: Marktteilnehmer wie Mechatroniker:innen, Ersatzteilehändler:innen und Werkstätten spielen zwar eine kleinere, aber dennoch sehr wichtige Rolle für die Bereitstellung von Ersatzteilen. 

McKinsey prognostizierte bereits vor der Pandemie, dass der Anteil des E-Commerce vom Autoteilemarkt bis 2035 um 20 bis 30 Prozent steigen wird. Die Digitalisierung und die sozioökonomischen Umstände der letzten Jahre haben diese Entwicklung stark beschleunigt und die digitalen Prozesse in der B2B-Beschaffung der Automobilindustrie vorangetrieben: Digitale Vernetzung, Big Data und Effizienzsteigerung werden strategisch immer wichtiger für das Zusammenspiel auf dem Markt.

Der Markt strukturiert sich momentan neu. Marktplätze, bzw. transaktionale Eco-Systeme werden in der Zukunft ein extrem wichtiges Thema in der Automotive Industrie werden – sowohl im B2B-, als auch im B2C-Bereich. Marktteilnehmer müssen sich heute technologisch so aufstellen, dass sie morgen nicht überholt werden.

- Nils Radsak, Founder & CEO konekta consulting ltda

Welche Vorteile bietet das Marketplace-Modell?

 

Effizienzsteigerung durch Direktzugang

Unternehmen können direkt auf eine breite Palette von Produkten und Dienstleistungen zugreifen, ohne auf bestimmte Zwischenhändler:innen und deren Bestände angewiesen zu sein. Dies beschleunigt den Beschaffungsprozess und reduziert den administrativen Aufwand erheblich.

 

Kosteneinsparungen durch Transparenz

Die Möglichkeit, Preise und Konditionen von verschiedenen Anbieter:innen und Zulieferern direkt zu vergleichen, ermöglicht es Automobilunternehmen, kosteneffizientere Entscheidungen zu treffen und ihr Budget zu optimieren. Außerdem bietet dies auch kleineren Marktteilnehmer:innen die Chance, sich global zu etablieren.

 

Förderung von Innovation

Ein B2B-Marktplatz bietet Zugang zu einer Vielzahl von Technologien und Services, die zur Weiterentwicklung von Prozessen und Produkten beitragen. Unternehmen können über eine transaktionale Plattform leichter und unabhängiger auf innovative Lösungen oder neue Produkte zugreifen und ihre Wettbewerbsposition stärken. Gerade mit Blick auf die steigende Konkurrenz aus China für dasselbe Marktsegment, muss die Innovationsbereitschaft auf dem europäischen Markt vorangetrieben werden – auch in der B2B-Beschaffung.

 

Zeitersparnis und Beschleunigung der Lieferketten

Das Marktplatzmodell reduziert Verzögerungen oder gar Abbrüche in der Lieferkette, da die direkte Kommunikation und die vereinfachte Bestellabwicklung zu schnelleren Lieferzeiten führen. Engpässe in der Lieferkette können schwerwiegende Folgen haben – die Erfahrung mussten 2023 viele europäische Hersteller machen, die aufgrund des Ukrainekriegs Lieferausfälle für die Produktion hatten und Autos nicht fertigstellen konnten. Dieser Stillstand der Produktion kostet die betroffenen Hersteller Milliarden.

 

Globale Präsenz und Skalierbarkeit

Gerade für kleinere Player:innen bietet das Marketplace-Modell den Vorteil, durch die Anbindung auf dem globalen Markt präsent zu sein und mit größeren Akteur:innen auf gleicher Ebene zu konkurrieren.

Die allgemeinen Benefits des Marktplatzmodells sind attraktiv und effizient – dennoch ist es schwer, digitale Commerce-Plattformen wie ein Template auf die Automotive-Branche zu übertragen. Viele Voraussetzungen für eine erfolgreiche Marketplace-Anbindung sind noch nicht gegeben.

Was sind die größten Herausforderungen?

 

Die Komplexität der Produkte

Die Produkte und Ersatzteile in der Automobilbranche sind sehr komplex – vom Fahrzeug selbst bis zu verschiedenen Komponenten und Ersatzteilen. Die Anforderungen und Spezifikationen der Käufer:innen können stark variieren, was die Entwicklung eines effektiven Marktplatzes erschwert. Hinzu kommt der Trend hin zur Elektromobilität – das Auto verändert sich komplett. Und wenn sich die Einzelteile und Ersatzteile eines Autos ändern, dann ändern sich auch die Anforderungen an das Zuliefergeschäft.

 

Historisch gewachsene und unflexible Prozesse und Systeme

Automobil-Zulieferer und Großhändler arbeiten mit lang etablierten, historisch gewachsenen Systemen. Viele dieser Unternehmen haben Schwierigkeiten, qualifizierte Daten zu erheben, zu speichern und so einzusetzen, dass sie für eine Marktplatzanbindung genutzt werden können. Zu häufig sind Daten über unzählige Abteilungssilos verteilt. Die vorhandenen Daten können meist nur Teile der benötigten und geforderten Dienstleistungen und Produkte abbilden. Das hat die Folge, dass sie für einen Marketplace nicht effizient genutzt werden können. Lösungsansätze zu bestehenden Datensilos finden Sie in unserem Automotive-Blueprint.

Die Anbindung und das Management von Zulieferern

Die Automobilindustrie umfasst eine Vielzahl von Zulieferern, die in den Beschaffungsprozess eingebunden sind. Das effektive digitale Management dieser Lieferanten und die Integration ihrer Produkte auf einen Marketplace setzt im ersten Schritt eine entsprechende Informationsarchitektur voraus. Ist diese nicht gegeben, fehlt die Basis für eine so komplexe Vernetzung.

 

Sicherheit und digitale Qualitätskontrolle

In der Automobilbranche sind Sicherheits- und Qualitätsstandards die Voraussetzung, Einzelteile und Produkte überhaupt an den Markt zu bringen. Um sicherzustellen, dass die auf einem Marktplatz angebotenen Produkte den erforderlichen Standards entsprechen, müssen strenge Qualitätskontrollen und Sicherheitsmaßnahmen implementiert werden – dies digital abzubilden ist für viele Marktteilnehmer:innen heute noch nicht möglich, weil ihnen die Ressourcen und die entsprechenden Technologien fehlen.

 

Technische System-Integration

Ein erfolgreicher Marketplace erfordert eine nahtlose Integration in die vorhandenen Systeme der Hersteller und Zulieferer – einschließlich ERP-Systemen, Bestandsverwaltung, Zahlungsabwicklung usw. Die technische Komplexität dieses Integrationsprozesses kann zu einem Problem werden, wenn die technologischen Voraussetzungen nicht gegeben sind und die Möglichkeit fehlt, bestehende Systeme an neue Prozesse anzubinden. Heute gibt es für diesem Fall zahlreiche Lösungen und Softwareanbieter. Eine Middleware macht es möglich, bestehende und neue Systeme miteinander zu verknüpfen. Stichwort: Best-of-Breed. Es gibt verschiedene Solutions für bestimmte Bereiche, die sich miteinander kombinieren und verbinden lassen.

 

Wettbewerb und Preisgestaltung

Die weiter oben als Vorteil genannte Preistransparenz birgt auch Risiken: Auf einem Marktplatz können mehrere Anbieter:innen ähnliche, oder sogar dieselben Produkte anbieten. Das kann zu einem erhöhten Wettbewerb und Preisdruck führen. Dies kann sich auf die Margen der Lieferanten und die strategische Preisgestaltung auswirken.

  

Marktplatz-Akzeptanz

Die Akzeptanz des Marktplatzmodells sowohl auf Seite der Hersteller als auch bei den Zulieferern, ist entscheidend. Wenn große Automobilunternehmen und wichtige Zulieferer nicht bereit sind, einen Marktplatz zu nutzen, kann die Skalierbarkeit und der Erfolg des Modells stark beeinträchtigt werden.

Das Marktplatzmodell als Standard-Tool für die B2B-Beschaffung in der Automotive-Industrie ist 2023 noch Zukunftsmusik. Die Voraussetzungen und die Bereitschaft sind bei einer Vielzahl Marktteilnehmer:innen noch nicht gegeben. Aber: Das Modell Marketplace hat definitiv das Potenzial, die B2B-Automobilbranche nachhaltig zu transformieren, indem es Effizienz, Kosteneinsparungen und Innovationen vorantreibt.

Unternehmen, die sich technologisch in die Lage versetzen, die Vorteile einer solchen digitalen Plattform nutzen, können ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und Geschäftsprozesse optimieren. Mit einer zunehmend digitalen und global vernetzten Welt wird das Marktplatzmodell zweifellos weiterhin an Bedeutung gewinnen und auch die Zukunft der B2B-Automobilbranche beeinflussen: Der Markt wird größer, es wird aufgrund des Trends hin zu Elektromobilität neue Services und Player geben und es werden sich neue digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Genauere Prognosen wagen wir hier.

Wer ist Andreas?

Andreas Gottschalk

Andreas Gottschalk

Andreas Gottschalk unterstützt die diva-e seit 2020 und ist in seiner Rolle als Key Account Manager im Vertrieb der diva-e für einige unserer Top-Kunden verantwortlich. Andreas kann dabei auf 10+ Jahre Erfahrung im Business Development in E-Commerce und Logistik zurückgreifen. Andreas’ Fokus liegt auf der Automotive-Branche und er steht Ihnen mit seiner Expertise zur Seite, um Ihre individuellen Herausforderungen zu meistern. Nehmen Sie gern Kontakt auf, um Ihre digitale Transformation gemeinsam erfolgreich und gewinnbringend anzugehen.